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Spaziergang: Ein kleine politische Etymologie

DATUM

Warum „Querdenken“ und extreme Rechte bei den „Corona-Protesten“ von Spaziergängen reden

Die gegenwärtig mit großer Reichweite in die Öffentlichkeit drängenden Proteste gegen die Corona-Maßnahmen besetzen gezielt Begriffe in ihrem Sinne. Ihre Demonstrationen bezeichnen die Organisator*innen als „Spaziergang“ und legen nahe, es handle sich nicht um politische Versammlungen. Die Organisator*innen begeben sich damit in eine Tradition extrem rechter Akteure vor allem in Ostdeutschland. Bereits Pegida hatte den Begriff „Spaziergang“ zur Selbstbeschreibung ihrer Demonstrationen genutzt. Den Protest als Spaziergang zu bezeichnen, zielt dabei auf viererlei:

  1. Es geht um die Ansprache von Menschen, die sich selbst als unpolitisch verstehen bzw. sich nicht im politischen Raum bewegen. Eine Teilnahme an „Spaziergängen“ ist für diese mit weniger Hürden verbunden als die Teilnahme an einer Demonstration.
  2. Es geht darum, Spontanität und Agilität des Protests zu suggerieren: Scheinbar spontan kommen die Menschen aufgrund kurzfristiger Ankündigungen in den sozialen Netzwerken zu einem „Spaziergang“ zusammen. Vermittelt werden soll der Eindruck einer Massenrevolte.
  3. Es geht um Selbstverharmlosung: Obwohl zumeist von Netzwerken der extremen Rechten organisiert und/oder inhaltlich von ihnen geprägt, vermittelt der Begriff „Spaziergang“ eine friedvolle Freizeitbeschäftigung.
  4. Es geht um eine Anknüpfung an Wenderfahrungen und DDR-Opposition. Als „Spaziergang“ bezeichneten z.B. Umweltgruppen aus der DDR ihre Versuche, kollektiv auf die Verschmutzung von Flüssen aufmerksam zu machen.

Die Übernahme des Begriffs „Spaziergang“ für versammlungsrechtliche Aktionen der „Corona-Proteste“ durch Medien und Politik verstärkt – ob gewollt oder ungewollt – die politisch motivierte Inszenierung von Spontanität, Widerstand u Selbstverharmlosung. Wer die von Pegida und „Querdenken“ inhaltlich geprägten Begriffe (unbewusst) aufnimmt, verschafft ihnen Reichweite und Plausibilität. Besser wäre es, die Proteste als das zu bezeichnen, was sie sind:  rechtsextrem geprägte Demonstrationen bzw. Aufmärsche.

David Begrich/Pascal Begrich