„Remigration“ ist das „Unwort des Jahres“ 2023. Damit hat die extreme Rechte einen regelrechten Diskurs-Coup gelandet. Seit der Berichterstattung von „Correctiv“ lässt sich beobachten, wie sich rechtsextreme Akteur:innen um einen inhaltlichen Plot-Twist der Debatte bemühen, in dem sie aus dem Malus der Berichterstattung über das „Geheimtreffen“ einen diskursiven Bonus ziehen.
Die Wahl von „Remigration“ zum „Unwort des Jahres“ mag der Intention folgen, die rassistische Aufladung des Begriffs zu kritisieren. Doch hat die Debatte der vergangenen Tage gezeigt, dass dies mit einem Verstärkereffekt für rechte Ideologie-Bausteine einhergeht. Zuvor war bereits der Begriff „Großer Austausch“ in die mediale Debatte eingesickert. Dieser, vom neurechten französischen Autor Renaud Camus entfaltete Begriff stieg binnen kurzem zu einer der zentralen Vokabeln einer rassistischen Verschwörungserzählung auf, die gesellschaftlich breit ventiliert wurde.
Rechte Diskursstrategien
Martin Sellner und sein Umfeld gingen nach den Veröffentlichungen von „Correctiv“ umstandslos zu dem über, was sie am besten können: zur diskursiven Selbstverharmlosung. Der Begriff, säuselten sie und ihre AfD-Adept:innen, beziehe sich „lediglich“ auf ausreisepflichtige Migrant:innen, nach deren Abschiebung auch Politiker:innen anderer Parteien in den vergangenen Monaten gerufen hatten. Wer jedoch genau hinhörte, konnte wissen, dass die extreme Rechte sich mit „Remigration“ einen Container-Begriff aneignete, den sie – je nach politischem Sprechraum – füllt. Einer breiteren Öffentlichkeit ist die Ausweisung aller Menschen, die nicht ins rassifizierte Bild der extremen Rechten passen, (derzeit noch) nicht vermittelbar. Der eigenen Szene jedoch sehr wohl.
Tatsächlich ist „Remigration“ ursprünglich kein rechter Begriff, sondern ein Fachterminus der Geschichts- und Literaturwissenschaft bzgl. der Rückkehr deutscher Exilant:innen nach dem Ende des NS-Regimes nach Deutschland. Die extreme Rechte hat ihn sich angeeignet und neu kontextualisiert: Wenn sie von „Remigration“ redet, so meint sie Vertreibung von Menschen bis hin zur Ausbürgerung und dem Entzug staatsbürgerlicher Rechte. Der Begriff wird also in das glatte Gegenteil der ursprünglichen Bedeutung gewendet.
Hier zeigt sich das typische Muster der rechtsextremen Diskurs-Piraterie: Man nehme sich einen von anderen eingeführten Begriff, entkleide ihn seiner ursprünglichen Bedeutung, lade ihn mit den eigenen Inhalten auf, und speise ihn sodann ideologisch aufgeladen in die öffentliche Debatte ein. Geschieht dies wiederholt und offensiv genug, so die Erwartung, findet die neue Begriffsdeutung breite mediale und gesellschaftspolitische Resonanz. Dabei gilt: diskursive Vorstöße im Sinne der extremen Rechten sind dort erfolgreich, wo Politik und Öffentlichkeit ihrer thematischen Agenda folgen und sich an den von rechts gesetzten Begriffen abarbeiten sowie zu deren Verbreitung beitragen. Dieses Muster wendete die AfD seit Jahren wiederkehrend erfolgreich an.
Diskurs-Niederlage
Mit Blick auf die aktuellen Debatten erleben die AfD und ihr Umfeld zugleich erstmals eine Krise ihrer Diskursstrategie. Der scheinbare Automatismus, mit dem die extreme Rechte bisher Begriffe und Themen zu setzen vermochte, um damit eine Dominanz in den Debatten um Migration und innere Sicherheit auszuüben, scheint gebrochen. Entgegen bisheriger Erfahrungen stieß ihre politische Konzeption von „Remigration“ auf starke gesellschaftliche Abwehr. Dem weitgehend geräuschlosen Durchmarsch rechtsextremer Positionen und ihrer Normalisierung wurden vorerst Grenzen gesetzt. Die Strategie der Selbstverharmlosung hat die AfD offenkundig überspannt, was sie nun zu taktischen Rückzügen zwingt, wie die Distanzierung führender AfD-Politiker:innen von Martin-Sellner zeigt.
Allerdings steht zu erwarten, dass die extreme Rechte im Vorfeld der Wahlen weitere Begriffe und Provokationen in die Manege der Politik werfen wird – ganz in der Hoffnung auf möglichst große Knalleffekte.
Um hier den Kreislauf der medialen Aufwertung rechtsextremer Begriffe zu durchbrechen, reicht es nicht mehr aus, die Diskursstrategien der extremen Rechten zu analysieren. Notwendig ist ein selbstbewusster und reflektierter Umgang mit den rechten Deutungsvorlagen der Gegenwart. Dazu gehört, einen rechten Tabubruch als solchen zu benennen und diskursiv zu bekämpfen. Aber nicht jede Provokation, nicht jede Äußerung ist es wert, mit jener Reichweite versehen zu werden, von der die AfD und ihr Vorfeld nun schon seit langem ohne ihr großes Zutun profitieren. Viel wäre gewonnen, wenn sich die gegenwärtigen Debatten aus dem Griff rechter Diskurs-Vorlagen befreiten, und stattdessen auf eigene Begriffe, Themen und Deutungsangebote setzten, die den Horizont einer demokratischen Kultur aufreißen. Ein erster Schritt hierfür ist mit der breiten Mobilisierung gegen die rechtsextreme Agenda und für eine solidarische Gesellschaft getan.