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Neue Rechte. Die autoritäre Revolte?

DATUM

Heute, am 11. Oktober 2018 findet unter dem Titel „Neue Rechte. Die autoritäre Revolte?“ in Halle (Saale) ein Fachtag der Landeszetrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt statt. David Begrich, Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus, ist einer der Hauptreferent*innen der Veranstaltung. Er wird über das Netzwerk der Neuen Rechten in Sachsen-Anhalt informieren und sich in einem der anschließenden Foren mit einem der neurechten Akteure, dem „Institut für Staatspolititk“, auseinandersetzen. Wir dokumentieren hier seinen Vortrag unter dem Titel: „Die Neue Rechte in Sachsen-Anhalt“:

Im Folgenden wird ein engerer Begriff von „Neue Rechte“ verwendet. Ich verstehe hierunter für Sachsen-Anhalt ein kooperatives Netzwerk rechter Aktivisten, Publizisten und Politiker, die zum Teil gleichgerichtete, zum Teil heterogene Interessen und Ziele verfolgen, gleichwohl jedoch gemeinsam die politische und gesellschaftliche Topographie des Landes einer Veränderung in ihrem Sinne unterziehen. Kooperativ heißt, dass die nachfolgend benannten Akteure sich nicht zwingend im gleichen organisatorischen Rahmen wiederfinden müssen, sondern ob einer Wahlverwandtschaft der Gesinnung aufeinander bezogen agieren.

Öffentlich wahrgenommen werden vor allem die „Identitären“. Sie betreiben in unmittelbarer Nachbarschaft des Universitätscampus‘ in Halle ein Hausprojekt, dem sie einen modellhaften Charakter zusprechen. Sowohl dieses Zentrum als auch die Aktivitäten der „Identitären“ waren in der Vergangenheit bereits Gegenstand zahlreicher kontroverser Debatten in der Stadt Halle und weit darüber hinaus.

Die „Identitäre Bewegung“ trat ab 2012 im deutschsprachigen Raum zunächst als virtuell wahrnehmbarer Akteur im Internet auf. Ab 2014 bildeten sich sukzessive deutschlandweit regionale Gruppen, von denen die hier ansässige Gruppe „Kontra-Kultur“ einer der ersten war und sicher auch die bekannteste und aktivste Gruppe ist. Ob es sich bei den „Identitären“ in einem soziologischen Sinne tatsächlich um eine Bewegung handelt, steht in Zweifel. Verfügbare Unterlagen der „Identitären“ legen nahe, dass es sich eher um eine rechtsextreme Kaderorganisation im Umfang von wenigen hundert Personen handelt. Ein Teil ihrer Akteure hat eine primäre politische Sozialisation in den Burschenschaften, in der völkischen Jugendbewegung oder in der JN, der Jugendorganisation der NPD, erfahren. Andere sind als Sympathisanten neu hinzugekommen und durchlaufen nun einen Prozess politischer Bewusstseinsbildung. Sie alle eint die Suche nach neuen Ausdrucksformen für rechte Inhalte. Hierzu unterzogen die „Identitären“ die Ideologie des Rechtsextremismus einer regelrechten Marketing-Rosskur, um mit neuen Begriffen und mit neuen – vor allem medial aufbereiteten – Formaten und Aktivitäten in den sozialen Medien ihre Reichweite zu erhöhen und ihre Anhängerschaft zu verbreitern. Diese neuen Formen zeigen rechtsextreme Ideologie in einem neuen Gewand: pop- statt subkulturell, jung und niedrigschwellig.

Die permanente Selbstthematisierung der „Identitären“ folgt den Trends in der digitalen Welt, ist jedoch mit eminent politischen Zielen verbunden. Mittel der Wahl sind nicht nur Aktionen wie das Aufhängen von Transparenten an öffentlichen Orten, die Störung von Veranstaltungen oder – wie vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2016 – das Zumauern der Geschäftsstelle der Migrantenorganisation LAMSA. Zum Aktionsrepertoire gehören ebenso Versuche, politische Gegner einzuschüchtern.

Die Wortführer der IB, wie Mario Müller aus dem Projekt in Halle, propagieren in Publikationen eine langfristige Strategie der gesellschaftlichen Umwälzung von rechts. Die Instrumente, die diese Umwälzung  ermöglichen sollen,  entstammen der Sozialraumstrategie der italienischen Casa Pound ebenso, wie denen der Non-Violence-Action von Gene Sharp. Ob Popkultur oder Medien – kurz, alle Formen strategischer politischer Kommunikation werden von den „Identitären“ daraufhin durchgesehen, ob und wie sie für die eigenen Inhalte nutzbar gemacht werden können. Dabei bedient sich die IB auch kultureller Ausdrucksformen, die bislang für die extreme Rechte eher ungewöhnlich waren. So kommen aus ihrem Umfeld beispielsweise Musikprojekte, die jenseits des Rechtsrocks neue Zielgruppen ansprechen sollen.

Die Hallenser Gruppe „Kontra-Kultur“ hat durch sehr medienaffin inszenierte Aktionen frühzeitig auf sich aufmerksam gemacht. Ihr Haus ist zum bundesweiten Anziehungspunkt für Aktivisten der „Identitären“ geworden. Hier sind Medien- und Marketingprojekte angesiedelt. Aus Halle kommt das Youtube-Format „laut gedacht“ das in erster Linie junge Menschen ansprechen und politisieren soll. Nach der Vorstellung der Strategen des neurechten Milieus ist das Haus in Halle ein konzeptioneller Mosaikstein ihrer politischen Strategie und Vorbild, andernorts ähnliche Projekte entstehen zu lassen, die langfristig der Idee einer Graswurzelrevolution von rechts zum Durchbruch verhelfen sollen.

Hier in Halle, in der Nähe des Campus´ der Universität  geht es aber auch um symbolische Präsenz. Es geht darum, in einem akademischen, kosmopolitischen Umfeld von Wissenschaft und Internationalität einen Stein des Anstoßes von rechts zu setzen und zugleich Anlaufpunkt für Gleichgesinnte zu sein. Natürlich unterliegt ein solches Hausprojekt einer politischen Gruppendynamik. Auch studierende Aktivisten müssen irgendwann einen akademischen Abschluss erwerben. Dennoch ist davon auszugehen, dass die „Identitären“ darauf setzen, ihre Aktivitäten in Halle zu verstetigen, um von hier aus in anderen Orten und Regionen wirken zu können.

Ebenfalls zu dem von mir als kooperierendes Netzwerk verstandenen Milieu der „Neuen Rechten“ in Sachsen-Anhalt gehört der Verlag Antaios mit Sitz im Saalekreis. In den Jahren seines Bestehens ist der Verlag zum Sprachrohr der rechten Intelligenzija dadurch geworden, dass er zunächst am Buchmarkt Texte zur Ideengeschichte der sogenannten Konservativen Revolution und ihrer Protagonisten publizierte, und anschließend mit Publikationen hervor trat, die auf eine Re-Formulierung rechter Politikkonzepte aus sind. Über Jahre fand diese Publizistik abseits einer breiten öffentlichen Wahrnehmung statt. Erst mit dem Aufstieg von PEGIDA fand Beachtung, dass der Verlag Antaios und das ihm verbundene „Institut für Staatspolitik“ wichtige inhaltliche und strategische Impulsgeber für die Mobilisierung von rechts waren und sind. Dies umso mehr, da die Aktivitäten des Verlags und des Instituts weit über das Land Sachsen-Anhalt hinaus in einem Diskursraum von Hegemoniekämpfen reichen.

Im Sinne des oben genannten engen Begriffs von „Neue Rechte“ gehört die AfD ihrer Gründungsgeschichte nach nicht zu diesem Netzwerk. In der Politikwissenschaft besteht jedoch weitgehend Einigkeit darüber, dass der Charakter der AfD in der Gründungsphase ein anderer war, als er heute ist. Es ist offenkundig, dass sich das politische Koordinatensystem der Partei seit ihrer Gründung deutlich nach rechts verschoben und die AfD damit an Bedeutung für die „Neue Rechte“ gewonnen hat. Ihr Verhältnis zur AfD ist vielschichtig. Einerseits erkennt man in der Partei eine politische Kraft, die die neurechten Theoriedebatten der vergangenen Jahrzehnte in einen Modus parlamentarischer Repräsentanz überführt und der „Neunen Rechten“ somit Anteil am Machtgefüge des politischen Systems der Bundesrepublik verschafft. Zugleich jedoch fürchtet man in neurechten Kreisen jedoch, eben diese Teilhabe könne unter ungünstigen Umständen darin umschlagen, dass die AfD und ihre Ziele von der Prägekraft und der Machtmechanik der Institutionen des politischen Systems absorbiert und gezähmt werden. Beides, sowohl der Wille zur Teilhabe und als auch der Versuch, sich den Mechanismen der Veränderung in Institutionen zu entziehen, ist Teil der innerparteilichen Kontroverse der AfD um die Ausrichtung der Partei. Dies ist in öffentlichen Debatten bis hin zur Forderung politischer Konkurrenten der AfD, Teile der Partei durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen, ausreichend ausgeführt worden. Die von rechtsintellektuellen Akteuren je nach Lage favorisierte Metapolitik – also mit Hegemoniearbeit über Begriffe, Diskurse und Kampagnen zu einer Veränderung der politischen Landschaft zu gelangen – steht jedenfalls nicht zwingend im Widerspruch zur parlamentarischen Strategie der AfD.

Die „Neue Rechte“ in Sachsen-Anhalt und ihre Bedeutung für „die nationale Szene“

Ostdeutschland, genauer die Region Mitteldeutschland, ist für die „Neue Rechte“ in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Da ist zum einen die Tatsache, dass sich im Dreieck zwischen Leipzig, Weimar und Naumburg besonders viele Orte und mit ihnen verbundene Persönlichkeiten finden lassen, die für die Geschichte der Deutschen und ihre kulturelle Herkunft und Identität von großer Bedeutung sind: Ottonen, Reformation, Romantik. Hier finden sich aber auch zahlreiche Orte, die im 19. Jahrhundert eine nationale Aufladung erfuhren, wie der Kyffhäuser und die Wartburg, oder Orte, die im 20. Jahrhundert zu Schauplätzen geistig-kultureller Auseinandersetzungen wurden, wie Leipzig und Dessau. All dies steht in den Augen des ideengeschichtlich kundigen Betrachters durchaus in einer inneren Verbindung zueinander und prägt bis heute die Kultur-und Mentalitätsgeschichte der Region.

Diese Orte und ihre Geschichte gelten der „Neuen Rechten“ als Kraftquell – als Brunnen, aus dem es zu schöpfen gelte, wenn es darum geht, ihr Verständnis vom „Wesen des Deutschseins“ gegen all das in Stellung zu bringen, was die „Neue Rechte“ verachtet und dekadent nennt: alle Spielarten gesellschaftlicher Liberalität. Der antiliberale Fundamentalismus der „Neuen Rechten“ bedient sich virtuos aus der Kultur- und Geistesgeschichte der mitteldeutschen Region und interpretiert dessen Traditionen agonal entgegengesetzt zu den Entwürfen einer kulturellen und gesellschaftlichen Moderne. Anders ausgedrückt: Gemäß des Kulturverständnisses der „Neuen Rechten“ liegen im mitteldeutschen Raum auf jedem Zentimeter 1.000 Jahre deutsche Geschichte. Diese Kulisse wird absichtsvoll gewählt, um sich für den Kampf gegen den in ihren Worten „großen Austausch“ und die aus ihrer Sicht bevorstehende „Islamisierung des Abendlandes“ zu wappnen. Hier in dieser Region treffen die Akteure des neurechten Milieus auf die Orte und Epochen, denen ihre national aufgeladene Sehnsucht gilt: Röcken und Leipzig, Weimar und Eisenach, Naumburg und Jena. Ohne die nationale Heroisierung der Geschichte dieser Orte, und der mit ihnen verbundenen Ereignisse, Personen und Epochen ist das Denken, sind die Fäden der Tradition, die man hier von rechts außen zusammenzuführen gedenkt, schlicht nicht vorstellbar. Nietzsche und Luther, Novalis und Bismarck. Sie alle macht die „Neue Rechte“ zu einem Teil ihrer historischen Meistererzählung von einem Deutschland, welches sie – ganz in der Tradition der politischen Romantik des frühen 20. Jahrhunderts – in existentieller Gefahr sieht, durch fremde Kultureinflüsse zerstört zu werden.

Gewiss, solche Orte lassen sich mühelos auch in Westdeutschland finden. Doch ist der geschichtliche Osten Deutschlands, den das rechte Milieu eigentlich natürlich viel weiter östlich – jenseits von Oder und Neiße geografisch benennt, mehr als nur ein historischer Ort. Der Osten gilt der Rechten ideengeschichtlich seit jeher als Bezugspunkt und Widerpart zum Prinzip des Westens und seines Begriffs von Zivilisation.

Ein zweiter Faktor, weshalb Ostdeutschland für die neurechte Szene von Bedeutung ist, ist die anhaltende Wirkung der Nachkriegsgeschichte und die der DDR. Bereits vor der Wiedervereinigung sahen neurechte Autoren der alten Bundesrepublik auf dem Gebiet der DDR ein Refugium zur Bewahrung dessen, was sie als „deutsche Wesensart“ verstanden. Bei aller Ablehnung der kommunistischen Diktatur erkannten Rechte aller Couleur in der DDR das deutschere Deutschland, in dem es weder Coca Cola gab, noch die von rechts heftig bekämpfte Re-Edukation der Amerikaner. Im Gegenteil: die sowjetische Besatzungsmacht konservierte – mal absichtsvoll, mal absichtslos – Traditionen und soziale Praxen, die der Rechten als tugendhaft gelten. Dies bezieht sich nicht nur auf die vielzitierten Sekundärtugenden, sondern auch auf den in der DDR gepflegten Begriff des „nationalen kulturellen Erbes“, dessen Praxis durchaus nationalistische Züge trug. Dass die DDR in ihrem ganzen Bezugsrahmen deutscher und nationaler blieb, als die Politik der Öffnung gen Westen dies in Westdeutschland zuließ, dass es hier kaum Veränderungen im kulturellen Mentalitätsgefüge einer Mehrheit des Volkes gab, wie nach 1968 im Westen, ist bekannt. Dass dies bis heute Folgen hat, spiegelt sich in den vor allem in Westdeutschland geführten Debatten, weshalb der Osten so „anders“ sei und warum sich die hier in Ostdeutschland anzutreffende systemübergreifende Affinität zu autoritären Bewusstseinslagen sich in Wahlergebnissen für rechte Parteien niederschlägt.

Schließlich sind die gänzlich heutigen gesellschaftlichen Umstände ein Faktor, der die ostdeutschen Bundesländer für das neurechte Milieu interessant machen. Über Jahre waren die Strukturen hier nicht so festgefügt, wie im Westen, die Immobilien erschwinglich. Der Gründung und Improvisation politischer Projekte waren kaum Grenzen gesetzt. Anders als in den Metropolen Westdeutschlands ist hier gegen die Ansiedlung rechter Projekte und Infrastrukturen kein oder kaum Widerspruch zu erwarten. Es lässt sich sagen: das neurechte Milieu hat in Ostdeutschland seit langem ein Feld konzeptionellen Ausprobierens gefunden. Erfolgreich angewandte Strategien der diskursiven Raumnahme in Medien, Politik und Gesellschaft können als Blaupause für den Versuch angesehen werden, in der politischen Kultur der gesamten Bundesrepublik zu einer grundsätzlichen Veränderung im Sinne einer Re-Nationalisierung der Gesellschaftspolitik zu gelangen. Der auf verschiedenen Ebenen messbare Erfolg einer Diskursverschiebung nach rechts bestätigt diese Vorgehensweise. Eine Vielzahl jener sichtbaren politischen Veränderungen im politischen Klima Ostdeutschlands, die von rechts ausgehen, steht Westdeutschland erst noch bevor.

Neurechte Konzepte von Politik und Gesellschaft sind in Ostdeutschland zu einer Herausforderung für die Demokratie geworden. Die liberale Demokratie muss darauf eine Antwort geben. Vielen Dank.